Psychische Belastungen und Störungen und deren Bedeutung für die gesetzliche UV

Prävention, Definitionen, Versicherungsschutz, Leistungsrahmen

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Typische Extrem- oder Gewaltsituationen, die zu psychischen Gesundheitsschäden führen können:
Miterleben eines Schul-Amoklaufs oder einer Geiselnahme oder als Zeuge/Helfer nach einem katastrophalen Geschehen
als Opfer eines Raubüberfalls in einer Bank, in einer Spielhalle, im Laden oder im eigenen Taxi
als Opfer eines Gewaltübergriffes bei der Arbeit als Schaffner, Busfahrer, Sicherheitspersonal, Krankenschwester ...
als beteiligter Fahrer eines Zuges oder eines Lkws bei einem Unfall mit schwerer Verletzung oder Todesfolge anderer
als Opfer einer Vergewaltigung auf dem Heimweg von der Arbeit oder nachts beim Zeitung Zustellen oder als Aufsichtsperson ...
Psychotherapie-Richtlinie 2024:
In dieser Richtlinie wird seelische Krankheit verstanden als krankhafte Störung der Wahrnehmung, des Verhaltens, der Erlebnisverarbeitung, der sozialen Beziehungen und der Körperfunktionen. Es gehört zum Wesen dieser Störungen, dass sie der willentlichen Steuerung durch die Patientin oder den Patienten nicht mehr oder nur zum Teil zugänglich sind."
Psychische Krankheit
Analog DSM 5 (TR): klinisch signifikante dysfunktionale Störungen in den Kognitionen, der Emotionsregulation und im Verhalten einer Person.

In der gesetzlichen Unfallversicherung gelten dafür rechtliche und medizinische Maßstäbe. Höchstrichterliche Rechtsprechung und ein möglichst breit gestützter aktueller wissenschaftlicher Kenntnistand über einzelne Krankheiten und deren Ursachen stellen die rechtliche Gleichbehandlung der Menschen sicher. Deshalb kommt es auf internationale wissenschaftlich anerkannte Diagnosemanuale an.

Psychisches Trauma nach ICD-10
Das medizinische Klassifikationssystem ICD-10 und die zugehörigen diagnostischen Anleitungen beschreiben das Traumakriterium als: ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (z. B. Naturkatastrophe oder menschlich verursachtes schweres Unheil, man-made disaster-Kampfeinsatz, schwerer Unfall, Beobachtung des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen).
DSM5 (TR): Quelle: dsm5.org- abgerufen am 19.12.2015
"The diagnostic criteria for the manual’s next edition identify the trigger to PTSD as exposure to actual or threatened death, serious injury or sexual violation. The exposure must result from one or more of the following scenarios, in which the individual:
directly experiences the traumatic event;
witnesses the traumatic event in person;
learns that the traumatic event occurred to a close family member or close friend (with the actual or threatened death being either violent or accidental); or experiences first-hand repeated or extreme exposure to aversive details of the traumatic event (not through media, pictures, television or movies unless work-related).
The disturbance, regardless of its trigger, causes clinically significant distress or impairment in the individual’s social interactions, capacity to work or other important areas of functioning. It is not the physiological result of another medical condition, medication, drugs or alcohol."
Deutsche Fassung siehe unten unter "Posttraumatische Belastungsstörung".
Arbeitsstress reicht für den Traumabegriff im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht
Also nicht die stressbedingte psychische Belastung
durch Arbeits- und Zeitdruck oder
durch mangelnde Einarbeitung und Unterstützung durch den Arbeitgeber
durch mangelnde Aufgabenbeschreibung
durch fehlerhaftes Vorgesetztenverhalten oder
durch unzureichendes Konfliktmanagement.
Solche Situationen können krank machen und sind sicherlich für einen Teil der Fehlzeiten infolge psychischer Erkrankungen verantwortlich. Die Arbeitgeber müssen hier präventiv gegensteuern - www.gefaehrdungsbeurteilung.de
Gefährdungsbeurteilung
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Unternehmer, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in Bezug auf Gefährdungen zu beurteilen und Maßnahmen ableiten, diese auf ihre Wirksamkeit zu kontrollieren und anzupassen. Auch in Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen muss eine Gefährdungsbeurteilung für die gesetzlich unfallversicherten Kinder, Schüler und Studierenden durchgeführt werden.
Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen stellen branchen- und bereichsspezifischer Handlungshilfen zur Verfügung und beraten über die Aufsichtspersonen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen.
Allgemeine Informationen und eine Datenbank mit Arbeitshilfen gibt es bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BAUA auf ihrem Web-Portal.

Mögliche Faktoren für psychische Belastungen in der Arbeitswelt siehe https://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igafakten/igafakten-10/:

Rollenambiguität, Rollenkonflikte, Rollenüberforderung, Arbeitsunzufriedenheit, Commitment und Kündigungsabsichten, fehlende soziale Unterstützung. Unsichere Arbeitsplätze, geringer Handlungsspielraum distributive Ungerechtigkeit, prozedurale Ungerechtigkeit der Vorgesetzten im Umgang miteinander angespannte Beziehung zu Kollegen und Kolleginnen, kleinere, alltägliche ärgernisse aggressives Verhalten am Arbeitsplatz geringer Handlungsspielraum. Lange Arbeitszeiten oder monotone Tätigkeiten waren mit einem erhöhten Rauchkonsum assoziiert. unflexible Arbeitszeiten

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Zugelassene Therapeuten und Therapeutinnen
Der zuständige Landesverband der DGUV beteiligt auf Antrag für Psychotherapie approbierte Psychotherapeuten und Ärzte mit traumatherapeutischer Fortbildung/Qualifikation (gemäß den Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger zur Beteiligung am Psychotherapeutenverfahren), die sich verpflichten, die Betroffenen entsprechend der Handlungsanleitung zum Psychotherapeutenverfahren zu behandeln und mit den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern zusammen zu arbeiten.
Das Verfahren folgt der Devise rasch einsetzend und effektiv:
z. B. Beginn der ambulanten Therapie innerhalb einer Woche nach Auftragserteilung durch den Unfallversicherungsträger
Sitzungsfrequenz wöchentlich bzw. maximal zweiwöchentlich
Maximal 5 Stunden probatorische Behandlung, danach maximal 10 Stunden Weiterbehandlung mit möglicher Verlängerung um bis zu 15 weitere Stunden.
Nach der Präambel der Anforderungen sollen die Behandlungsverfahren evidenzbasierten und AWMF-Leitlinien gerechten Erkenntnissen entsprechen.
Zeitnahe Kommunikation mit dem Unfallversicherungsträger mittels Berichterstattung (Erst-, Folge-, Abschluss-. Verlaufs- oder Kurzbericht), um dem Unfallversicherungsträger zu ermöglichen, die evtl. problematische Wiedereingliederung zu steuern.
Akutintervention nach traumatisiernden Ereignissen
Frei übersetzt nach der Behandlungs-Guideline* des DSM5 hilft eine frühzeitige edukative Information den Betroffenen effektiv mit den subsyndromalen Folgen des traumatischen Ereignisses umzugehen:
- über die zu erwartenden physiologischen und emotionalen Reaktionen,
- über die Strategien, mit denen man mit den sekundären oder fortdauernden Erinnerungen an das traumatische Ereignis umgeht bzw. diese mindert,
- über Stressbewältigung mittels Atemübungen oder anderen körperlichen Übungen,
- wie wichtig es ist geistig/mental aktiv zu bleiben,
- dass es notwendig ist, gerade in der Phase der Nachwirkungen auf sich selbst zu achten/achtsam zu sein
- und dass man sich um therapeutische Unterstützung kümmert, wenn die Symptome fortdauern.

*Treatment of Patients With Acute Stress Disorder and Posttraumatic Stress Disorder

Einige Unfallversicherungsträger setzen dieses Konzept bereits mit psychologischen Diensten im persönlichen Dialog mit den frisch Traumatisierten um und bieten psychische erste Hilfe innerhalb von 48 Stunden an, bei freiwilliger Inanspruchnahme.

Beispiel: BGHW psychologische Soforthilfe

Indikationen: Schweres traumatisches Ereignis, z.B. Raubüberfall, Miterleben eines katastrophalen Ereignisses, sexuelle Gewalt oder extreme Situation mit Kontrollverlust, Angst und Hilflosigkeit.

Schon während der stationären Behandlung im Schwerstverletzungsartenverfahren muss eine psychotraumatologische Betreuung sichergestellt sein ( Ziffer 2.6 der Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach an Krankenhäuser zur Beteiligung am Schwerstverletzungsartenverfahren): "Weiterhin müssen Psychotherapeuten oder Psychotherapeutinnen, die am Psychotherapeutenverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. beteiligt sind, entsprechend der fachlichen Dringlichkeit hinzugezogen werden können. Sofern keine Beteiligung am Psychotherapeutenverfahren besteht, ist die psychotraumatologische Kompetenz in geeigneter Weise sicherzustellen und nachzuweisen."

Die Konfrontationstherapie (oder auch Expositionstherapie genannt) ist ein therapeutisches Verfahren der Kognitiven Verhaltenstherapie, das vor allem bei Patienten mit Postraumatischer Belastungsstörung und spezifischen Phobien angewendet wird. Am Anfang wird die erlebte belastende Situation, die Ängste und Beschwerden und ein eventuelles Vermeidungsverhalten auslöst, in sensu (in der gedanklichen Vorstellung der Patienten) gemeinsam mit den Psychotherapeuten bearbeitet. Das heißt, es werden der Unfallhergang durchgesprochen, Erinnerungslücken geschlossen, ein Vermeidungsverhalten bewusst gemacht und bearbeitet und schließlich eine Habituation, also die Gewöhnung an die mit der Erinnerung verbundenen Gedanken herbeigeführt. Die aktive Mitarbeit der Betroffenen ist dabei wichtig, z. B. das imaginative Nacherleben der belastenden Umstände und der Wille, an der Bewältigung des Vermeidungsverhaltens zu arbeiten. Später folgt, sofern erforderlich, eine gemeinsame (evtl. mehrfache) Konfrontation in vivo, also in der realen Umgebung, bis die Symptome und Beschwerden deutlich nachlassen.

In der Praxis spielt ein Vermeidungsverhalten mitunter eine große Rolle, wenn Betroffene die Betriebsstätte wegen der angstbesetzten Situationen nicht mehr aufsuchen oder möglichst schnell wieder verlassen wollen oder nach einem erlebten Verkehrsunfall nicht mehr ein Kfz führen wollen. Komplizierend kann auch sein, wenn Betroffene sich nur unter Einnahme von Tranquilizern oder in Begleitung durch andere Personen in der Lage sehen, sich wieder der angstbesetzten Situation auszusetzen.

Wie definiert die Rechtsprechung die Rechtsbegriffe Gesundheitschaden bzw. Gesundheitserstschaden?

Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen ( § 8 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Auch psychische Erkrankungen können Folgen eines Arbeitsunfalls sein. Sie müssen aber klar bestimmbar sein und zeitlich, objektiv und wesentlich mit dem Arbeitsunfall zusammenhängen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, zu finden unter sozialgerichtsbarkeit.de
"Auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden (vgl ...). Psychische Gesundheitsstörungen können nach einem Arbeitsunfall in vielfältiger Weise auftreten: Sie können unmittelbare Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit hirnorganischer Wesensänderung sein, sie können aber auch ohne physische Verletzungen, zB nach einem Banküberfall, entstehen, sie können die Folge eines erlittenen Körperschadens, zB einer Amputation, sein, sie können sich infolge der Behandlung des gesundheitlichen Erstschadens erst herausbilden.
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (...).
Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (zB ICD 10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl 2001).
Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten.
Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen."

Etliche der relevanten Diagnosedefinitionen überschneiden sich, was die einzelnen Symptome angeht. Genaue Diagnostik ist daher notwendig, um z. B. zu klären, ob sich eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgebildet hat und stattdessen ein anderes Krankheitsbild vorliegt. Das gelingt nicht nicht allen Therapeuten. Für die Patienten ist die richtige Diagnose aber wichtig, damit der evidenzbasierte Therapiepfad eingeschlagen wird.

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 18.12.1962, 2-RU-189/59
"...Klingen unfall- oder schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen ab, treten aber neue, davon unabhängige Leiden auf, die die gleichen Symptome aufweisen wie die früher bestehenden Verletzungsfolgen, wird von einem "Verschieben der Wesensgrundlage" (Wechsel der Ursache) eines Leidens gesprochen (...). Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Geltendmachung außergewöhnlicher psychoreaktiver Störungen als Unfallfolge zu prüfen, ob selbst dann, wenn der Unfall eine rechtlich wesentliche Teilursache der psychischen Reaktion war, auch der weitere Verlauf der Erkrankung noch rechtlich wesentlich auf das Ereignis zurückzuführen ist oder nicht andere Ursachen so sehr in den Vordergrund getreten sind, dass sie für das fortbestehende Krankheitsbild als rechtlich allein ursächlich anzusehen sind ..."

ABER es gelten die strengen Beweisgrundsätze! Die Verschiebung der Wesengrundlage darf nicht bloß behauptet werden und bedeutet auch keine Umkehr der Beweislast.

BSG-Urteil vom 20.10.2020, B 2 U 10/19 R
1. Vergleich der konkret bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Bewilligung mit denjenigen zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides.
2. Prüfung, nach welchen Kriterien und nach welchem Diagnosesystem die ursprüngliche Anerkennung erfolgt ist, insbesondere welche Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt wurden.
3. Prüfung, ob sich die Funktionseinschränkungen gebessert haben und inwiefern bestehende Funktionseinschränkungen durch unfallfremde Einwirkungen oder innere Ursachen verursacht werden. Die Beweislast liegt beim Unfallversicherungsträger!

Verschiebung der Wesensgrundlage

Einzelne relevante Diagnosen

Nach extrem bedrohlichen oder schrecklichen Ereignissen (z.B. Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Katastrophen, körperliche Gewalt, schwere Unfälle, sexuelle Gewalt, schwerer Körperverletzung) kommt es unmittelbar zu einer Stressbelastung mit typischen Symptomen.

Akute Belastungsreaktion Definition nach ICD 10 - F43.0
Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die individuelle Vulnerabilität und die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen (Coping-Strategien) spielen bei Auftreten und Schweregrad der akuten Belastungsreaktionen eine Rolle. Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von "Betäubung", mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Diesem Zustand kann ein weiteres Sichzurückziehen aus der Umweltsituation folgen (bis hin zu dissoziativem Stupor, siehe F44.2) oder aber ein Unruhezustand und überaktivität (wie Fluchtreaktion oder Fugue). Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und Erröten treten zumeist auf.
Die Symptome erscheinen im allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück. Teilweise oder vollständige Amnesie (siehe F44.0) bezüglich dieser Episode kann vorkommen. Wenn die Symptome andauern, sollte eine änderung der Diagnose in Erwägung gezogen werden.
Die neue ICD 11 definiert die akute Stressreaktion so (meine unautorisierte private übersetzung):
Unter akuter Stressreaktion versteht man die Entwicklung vorübergehender emotionaler, somatischer, kognitiver oder verhaltensbedingter Symptome infolge der Einwirkung eines Ereignisses oder einer Situation (kurz oder lang anhaltend) extrem bedrohlicher oder schrecklicher Natur (z.B. Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Katastrophen, Kampf, schwere Unfälle, sexuelle Gewalt, Körperverletzung). Zu den Symptomen können autonome(?) Zeichen von Angst gehören (z.B. Tachykardie, Schwitzen, Erröten), Benommenheit, Verwirrung, Traurigkeit, Angst, Wut, Verzweiflung, überaktivität, Inaktivität, sozialer Rückzug oder Stumpfheit. Die Reaktion auf den Stressor gilt angesichts der Schwere des Stressors als normal und beginnt in der Regel innerhalb weniger Tage nach dem Ereignis oder nach der Entfernung aus der bedrohlichen Situation nachzulassen.
Posttraumatische Belastungsstörung – Definition nach ICD-10 (F43.1)
Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären.
Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten.
Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Posttraumatische Belastungsstörung nach ICD 11-Entwurfsfassung – abgerufen am 08.10.2024
"Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann sich entwickeln, wenn man einem extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen ausgesetzt war. Sie ist durch alle der folgenden Punkte gekennzeichnet:
1) Wiedererleben des traumatischen Ereignisses oder der traumatischen Ereignisse in der Gegenwart in Form von lebhaften aufdringlichen Erinnerungen, Rückblenden oder Albträumen. Das Wiedererleben kann über eine oder mehrere Sinnesmodalitäten erfolgen und wird typischerweise von starken oder überwältigenden Emotionen, insbesondere Angst oder Entsetzen, und starken körperlichen Empfindungen begleitet;
2) Vermeidung von Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis bzw. die Ereignisse oder Vermeidung von Aktivitäten, Situationen oder Personen, die an das Ereignis bzw. die Ereignisse erinnern; und
3) anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten aktuellen Bedrohung, die sich z. B. durch Hypervigilanz oder eine verstärkte Schreckreaktion auf Reize wie unerwartete Geräusche zeigt. Die Symptome halten mindestens mehrere Wochen lang an und verursachen erhebliche Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen."
Posttraumatische Belastungsstörung, Definition des Traumakriteriums A nach DSM 5 ©– Zitat aus Urteil des Hessischen LSG zum DSM 5
sozialgerichtsbarkeit.de
"Der Senat nimmt mit Dr. U. zudem an, dass auch die Voraussetzungen für die Annahme des A-Kriteriums nach dem neu herausgegebenen und nunmehr seit 2015 in deutscher Sprache vorliegenden DSM-5 (vgl. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, Deutsche Ausgabe herausgegeben von Peter Falkai und Hans-Ullrich Wittche, 2015 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG) hier nicht vorliegen. Anders als in DSM IV fällt bei DSM-5 zwar nunmehr das A2-Kriterium weg, andererseits - so zutreffend Dr. U. - lässt das A-Kriterium nach DSM-5 aber eine rein subjektive Bedrohung nicht mehr genügen. In DSM-5 (a. a. O. Seite 369) wird das A-Kriterium formuliert: Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt auf eine (oder mehrere) der folgenden Arten:
1. Direktes Erleben eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse.
2. Persönliches Erleben eines oder mehrerer solcher traumatischen Ereignisse bei anderen Personen.
3. Erfahren, dass einem nahen Familienmitglied oder einem engen Freund ein oder mehrere traumatische Ereignisse zugestoßen sind. Im Falle von tatsächlichem oder drohendem Tod des Familienmitgliedes oder Freundes muss das Ereignis bzw. müssen die Ereignisse durch Gewalt oder einen Unfall bedingt sein.
4. Die Erfahrung wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details von einem oder mehreren derartigen traumatischen Ereignissen (z. B. Ersthelfer, die menschliche Leichenteile aufsammeln oder Polizisten, die wiederholt mit schockierenden Details von Kindesmissbrauch konfrontiert werden).
Das diagnostische Merkmal "Konfrontation mit tatsächlichem Tod oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung" wird dabei wie folgt erläutert (siehe Seite 373 f.): "Direkt erlebte traumatische Ereignisse (in Kriterium A aufgeführt) umfassen folgende Erlebnisse, sind aber nicht auf diese begrenzt: Kriegserfahrung als Soldat oder Zivilist, drohender oder tatsächlicher körperlicher übergriff (z. B. körperlicher Angriff, Raubüberfall, überfall auf der Straße, körperliche Misshandlung in der Kindheit), drohende oder tatsächliche sexuelle Gewalt ( ), Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen und schwere Verkehrsunfälle."

PTBS

Nicht jede psychische Belastung erfüllt also die Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es gibt außer dieser Diagnose zahlreiche andere psychiatrische Diagnosen bzw Krankheitsbilder. Oft sind die Faktoren für die Entstehung wissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt. Eine psychische Erkrankung kann bislang nur im Versicherungsfall Arbeitsunfall entschädigt werden. Bisher wurde keine psychische Berufskrankheit in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen.

Psychische Störungen ohne "massives Trauma" - die Anpassungsstörung: identifizierbare psychosoziale Stressoren wie z. B. Krankheit, Behinderung, sozialökonomische Probleme, Konflikte im häuslichen oder beruflichen Umfeld bewirken vorübergehend Sorgen und Grübeln und weiteres.

Welche Belastungen und Symptome werden dafür nach ICD 10, ICD 11 und DSM 5 vorausgesetzt?

Anpassungsstörung - ICD 10 - Definition ICD 10
... Bei Anpassungsstörungen (ICD10 - F43.2) handelt es sich um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben (wie bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnissen) oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder soziale Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht). Sie kann auch in einem größeren Entwicklungsschritt oder einer Krise bestehen (wie Schulbesuch, Elternschaft, Misserfolg, Erreichen eines ersehnten Zieles oder Ruhestand).
Die individuelle Prädisposition oder Vulnerabilität spielt bei dem möglichen Auftreten und bei der Form der Anpassungsstörung eine bedeutsame Rolle; es ist aber dennoch davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre.
Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst oder Sorge (oder eine Mischung von diesen). Außerdem kann ein Gefühl bestehen, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurecht zu kommen, diese nicht vorausplanen oder fortsetzen zu können. Störungen des Sozialverhaltens können insbesondere bei Jugendlichen ein zusätzliches Symptom sein. Hervorstechendes Merkmal kann eine kurze oder längere depressive Reaktion oder eine Störung anderer Gefühle und des Sozialverhaltens sein.
Anpassungsstörung - Entwurfsfassung ICD 11 - abgerufen am 10.10.2024
" Eine Anpassungsstörung ist eine maladaptive Reaktion auf einen identifizierbaren psychosozialen Stressor oder mehrere Stressoren (z. B. Scheidung, Krankheit oder Behinderung, sozioökonomische Probleme, Konflikte zu Hause oder am Arbeitsplatz), die normalerweise innerhalb eines Monats nach dem Stressor auftritt. Die Störung ist gekennzeichnet durch die Beschäftigung mit dem Stressor oder seinen Folgen, einschließlich übermäßiger Sorgen, wiederkehrender und beunruhigender Gedanken über den Stressor oder ständiges Grübeln über seine Auswirkungen, sowie durch ein Versagen bei der Anpassung an den Stressor, das erhebliche Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursacht. Die Symptome lassen sich nicht besser durch eine andere psychische Störung erklären (z. B. Stimmungsstörung, eine andere spezifisch mit Stress assoziierte Störung) und klingen in der Regel innerhalb von sechs Monaten ab, es sei denn, der Stressor hält länger an."
Anpassungsstörung nach DSM 5
Eigene unautorisierte Umschreibung:
Nach DSM 5 TR müssen identifizierbare Belastungsfaktoren zugrunde liegen, wie das Ende einer Liebesbeziehung oder Konflikte mit Bezug zur Berufstätigkeit oder in einer Partnerbeziehung. Es können wiederkehrende Belastungen sein, wie z. B. saisonale berufliche Krisensituationen oder eine unerfüllte sexuelle Beziehung. Es können andauernde Zustände sein, wie eine chronische schmerzhafte Erkrankung mit zunehmender Behinderung oder das Leben in einer kriminalitätsbelasteten Nachbarschaft. Belastungsfaktoren können auch verbunden sein mit Änderungssituationen der persönlichen Entwicklung wie das Scheitern in beruflichen Zielen, das Leistungsversagen im Studium oder der Eintritt in den Ruhestand bzw. das Rentnerdasein. Nach dem Tod eines geliebten Menschen kann eine Anpassungsstörung diagnostiziert werden, wenn Intensität, Qualität und Dauer der Trauerreaktion das Maßüberschreiten, was den kulturellen, religösen und alterstypischen Normen entspricht.
DSM 5 TR-Kriterien der Anpassungsstörung in eigenen Stichworten (kein wörtliches Zitat!)
A - emotionale oder verhaltensrelevante Symptome, die sich innerhalb von 3 Monaten nach einem identifizierbaren Stressor entwickeln.
B - verhaltensbezogene Symptome liegen klinisch signifikant vor, entweder als unverhältnismäßige Stressreaktion oder als signifikante Störungen im sozialen, beruflichen oder einem anderen wichtigen Funktionsbereich.
C - die stressbedingte Störung ist nicht einer anderen Störung zuzuordnen, auch nicht im Sinne eines Wiederauflackerns einer vorbestehenden Erkrankung.
D - Die Symptome entsprechen nicht denjenigen einer normalen Trauerreaktion.
E - Wenn der Stressor oder seine Konsequenzen beendet sind, bleiben die Symptome nicht länger als weitere 6 Monate bestehen.

Autorisierte deutsche Übersetzung siehe Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5® Deutsche Ausgabe herausgegeben von P. Falkai und H.-U. Wittchen, mitherausgegeben von M. Döpfner, W. Gaebel, W. Maier, W. Rief, H. Saß und M. Zaudig

Kritische Begriffe

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Krankheitsgewinn (engl.: morbid gain): Objektive und subjektive Vorteile, die ein kranker Mensch aus seiner Krankheit zieht.

Sobald ein Mensch die Rolle des Kranken einnimmt, kann er in der europäischen Kultur in der Regel davon ausgehen, von seinen Alltagspflichten entbunden zu werden und Anteilnahme und schonendes Verhalten seiner Umwelt zu erfahren. Zudem kann der Kranke mit der wirtschaftlichen Unterstützung der Sozialversicherungsträger rechnen, wird also teilweise oder ganz vom eigenen Erwerb entbunden.

Primärer Krankheitsgewinn
Der primäre Krankheitsgewinn besteht in inneren oder direkten Vorteilen, die der kranke Mensch aus seinen Symptomen zieht: z. B. kann er dadurch schmerzlich empfundenen Situationen oder Konflikten aus dem Weg gehen. Das Symptom wird dann zwar als unangenehm erlebt, jedoch erlaubt es dem Kranken, keine sofortige, aus dem Konflikt herausführende Entscheidung treffen zu müssen, aus einem Konflikt, den er oft gar nicht als solchen erkennt. Er fühlt sich nur in einer unangenehmen (für ihn z. Z. ausweglos erscheinenden) Situation, welche ihn schwächt. Der Zusammenhang zwischen Konflikt und Krankheitssymptomen wird nicht für möglich gehalten und bleibt unbewusst. Auch kann das Symptom unbewusst dazu dienen, unangenehmeren Konflikten aus dem Weg zu gehen (z. B. das plötzliche Erkranken vor einer schweren Prüfung).
Sekundärer Krankheitsgewinn
Der sekundäre Krankheitsgewinn besteht in den äußeren Vorteilen, die der kranke Mensch aus bestehenden Symptomen ziehen kann, wie den Zugewinn an Aufmerksamkeit und Beachtung durch seine Umwelt, die Möglichkeit, im Bett bleiben zu können und dort die Nahrung serviert zu bekommen.
Tertiärer Krankheitsgewinn
Der tertiäre Krankheitsgewinn besteht in Vorteilen für die Umgebung des Erkrankten. Beispielsweise kann für Angehörige die zu erbringende Pflege als Bereicherung empfunden werden, da der Pflegende spürt gebraucht zu werden, eine besondere Kompetenz erhält und sich so als Heilsbringer sehen kann (in D.E. Biegel, E. Sales, R. Schulz: Family caregiving in chronic illness. Newbury Park, Sage, 1991.). Im weitesten Sinne erhalten alle Berufe des Gesundheitswesen einen tertiären Krankheitsgewinn.

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Bei psychischen Gesundheitsstörungen spricht man analog vom "Störungsgewinn".

In der Invalidenversicherung der Schweiz spielt der primäre Krankheitsgewinn neben weiteren Aspekten eine Rolle, wenn es um eine somatoforme Schmerzstörung geht – siehe Rundschreiben hier: (siehe Randnummer 1017)

Bedeutung in der gesetzlichen Unfallversicherung

Soweit mir bekannt, gibt es in der Rechtsprechung wenige Entscheidungen. Die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt L 6 U 32/16 vom 26.09.2019, in der der objektive Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und einer Agoraphobie bestätigt worden ist. Diese Entscheidung überzeugt aber in der Begründung nicht, was den Vollbeweis der Agoraphobie und die Prüfung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands des Kausalzusammenhangs angeht. Den vom BSG geforderten "Standards" folgt die Entscheidungen des Landessozialgericht Baden-Württemberg L 3 U 3108/17 vom 11.07.2018. Der Check auf sozialgerichtsbarkeit.de ergibt für mich nichts anderes sozialgerichtsbarkeit.de

ICD 10 - Diagnose-Kriterien
F40 Phobische Störungen
Eine Gruppe von Störungen, bei der Angst ausschließlich oder überwiegend durch eindeutig definierte, eigentlich ungefährliche Situationen hervorgerufen wird. In der Folge werden diese Situationen typischerweise vermieden oder mit Furcht ertragen. Die Befürchtungen des Patienten können sich auf Einzelsymptome wie Herzklopfen oder Schwächegefühl beziehen, häufig gemeinsam mit sekundären Ängsten vor dem Sterben, Kontrollverlust oder dem Gefühl, wahnsinnig zu werden. Allein die Vorstellung, daß die phobische Situation eintreten könnte, erzeugt meist schon Erwartungsangst. Phobische Angst tritt häufig gleichzeitig mit Depression auf. Ob zwei Diagnosen, phobische Störung und depressive Episode, erforderlich sind, richtet sich nach dem zeitlichen Verlauf beider Zustandsbilder und nach therapeutischen Erwägungen zum Zeitpunkt der Konsultation.
F40.0 Agoraphobie
Eine relativ gut definierte Gruppe von Phobien, mit Befürchtungen, das Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein, alleine mit Bahn, Bus oder Flugzeug zu reisen. Eine Panikstörung kommt als häufiges Merkmal bei gegenwärtigen oder zurückliegenden Episoden vor. Depressive und zwanghafte Symptome sowie soziale Phobien sind als zusätzliche Merkmale gleichfalls häufig vorhanden. Die Vermeidung der phobischen Situation steht oft im Vordergrund, und einige Agoraphobiker erleben nur wenig Angst, da sie die phobischen Situationen meiden können.
Agoraphobie – ICD 11 Kriterien Entwurfsfassung abgerufen bei BfArM am 10.10.2024
"Agoraphobie ist gekennzeichnet durch ausgeprägte und übermäßige Angst oder Beklemmung, die als Reaktion auf zahlreiche Situationen auftritt, in denen die Flucht schwierig sein könnte oder keine Hilfe verfügbar ist, wie z. B. bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, in Menschenmengen, wenn man sich allein außerhalb des Hauses aufhält (z. B. in Geschäften, Theatern, beim Anstehen). Der Betroffene hat ständig Angst vor diesen Situationen, weil er bestimmte negative Folgen befürchtet (z. B. Panikattacken, andere untaugliche oder peinliche körperliche Symptome). Die Situationen werden aktiv vermieden, nur unter bestimmten Umständen, z. B. in Anwesenheit einer vertrauten Person, aufgesucht oder mit intensiver Furcht oder Angst ertragen. Die Symptome halten mindestens mehrere Monate lang an und sind so schwerwiegend, dass sie zu erheblichem Leidensdruck oder erheblichen Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen."

ICD 11 – englische Version: https://icd.who.int/browse/2024-01/mms/en#1194756772

ICD 11 – deutsche Entwurfsfassung, abgerufen am 10.10.2024:
"Depressive Störungen sind durch eine depressive Stimmung (z. B. traurig, reizbar, leer) oder Freudlosigkeit gekennzeichnet, die von anderen kognitiven, verhaltensbezogenen oder neurovegetativen Symptomen begleitet wird, die die Funktionsfähigkeit der Person erheblich beeinträchtigen. Eine depressive Störung sollte nicht bei Personen diagnostiziert werden, die jemals eine manische, gemischte oder hypomanische Episode erlebt haben, was auf das Vorliegen einer bipolaren Störung hinweisen würde."
Zu den einzelnen diagnostischen Unterteilungen siehe Entwurfsfassung
6A70 Einzelne depressive Episode
6A71 Rezidivierende depressive Störung
6A72 Dysthyme Störung
6A73 Gemischte depressive Störung und Angststörung
GA34.41 Prämenstruelle dysphorische Störung
6A7Y Sonstige näher bezeichnete depressive Störungen
6A7Z Depressive Störungen, nicht näher bezeichnet

[BfArM](https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html?target=_blank

Depression

Burnout nach der Entwurfsfassung der deutschen ICD 11, abgerufen am 10-10-2024
"Burnout ist ein Syndrom, das als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzeptualisiert wird, der nicht erfolgreich bewältigt wurde. Es ist durch drei Dimensionen gekennzeichnet: 1) Gefühle der Energieerschöpfung oder Erschöpfung 2) Erhöhte mentale Distanz zur Arbeit oder Gefühle von Negativismus oder Zynismus in Bezug auf die Arbeit 3) Ein Gefühl der Ineffektivität und des Mangels an Leistung. Burnout bezieht sich speziell auf Phänomene im beruflichen Kontext und sollte nicht zur Beschreibung von Erfahrungen in anderen Lebensbereichen verwendet werden."

Da frage ich mich: Sind Distanz, Zynismus und Selbstwertmangel messbare funktionelle Störungen?

Als Folge eines Arbeitsunfalls kommt es meiner Meinung nach nicht in Betracht, weil die geforderte Dauer der Einwirkung eine Arbeitsschicht übersteigt (Voraussetzung für den Rechtsbegriff Unfall).

Die Anerkennung als Berufskrankheit scheitert schon daran, dass die Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung eine psychische Erkrankung nicht aufführt und es auch (Stand 2019) keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, die für eine Anerkennung als „Wie-Berufskrankheit“ nach § 9 Absatz 2 SGB VII sprechen. Ausführlich, auch zu weiteren Schwierigkeiten rechtlicher Natur: Aufsatz Prof. Dr. Wolfgang Spellbrink, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, Soziale Sicherheit 1/2019.

Beschreibung laut Entwurfsfassung der ICD 11, abgerufen am 10.10.2024
"Eine dissoziative neurologische Symptomstörung ist durch das Auftreten motorischer, sensorischer oder kognitiver Symptome gekennzeichnet, die eine unwillkürliche Unterbrechung der normalen Integration motorischer, sensorischer oder kognitiver Funktionen implizieren und nicht mit einer anerkannten Erkrankung des Nervensystems, einer anderen psychischen oder Verhaltensstörung oder einem anderen medizinischen Zustand vereinbar sind. Die Symptome treten nicht ausschließlich während einer anderen dissoziativen Störung auf und sind nicht auf die Auswirkungen einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale Nervensystem, einschließlich Entzugserscheinungen, oder eine Schlaf-Wach-Störung zurückzuführen."

Ein Beispiel aus der Rechtsprechung: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/204324?modul=esgb&id=204324

Es gibt keine ICD 11 Diagnose für diesen Begriff.

Urteil des Hessischen LSG vom 01.12.2009 - L 3 U 157/07
"... Die Gerichtssachverständige führt für den Senat überzeugend aus, dass die psychischen Störungen nicht auf den Arbeitsunfall vom 31. Mai 2001 zurückzuführen sind. Die vom Kläger selbst als Auslöser klar genannten und seit Jahren bereits vor dem Unfallereignis bestehenden Arbeitskonflikte bestanden nach Darlegung der Sachverständigen wiederholt bereits vor dem angeschuldigten Unfallereignis und hätten auch schon bereits vorher im Jahr 1996 zu einem Suizidversuch motiviert. Des Weiteren sei der betriebsbedingte Wechsel der Belegschaft mit Wechsel des Vorgesetzten vom Unfallgeschehen unabhängig.

Wie die Sachverständige zutreffend ausführt, ist es selbst im Falle des Mobbings am Arbeitsplatz wegen eingeschränkter Leistungsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls unzulässig, daraus resultierende Gesundheitsbeeinträchtigungen als wesentliche Folge des Arbeitsunfalles selbst anzunehmen.

Auch eine Entschädigung als mittelbare Unfallfolge kommt insoweit nicht in Betracht, weil selbst wenn das vom Kläger geltend gemachte Mobbing eine Reaktion der Arbeitskollegen auf die Leistungsbeeinträchtigung des Klägers in Folge des angeschuldigten Arbeitsunfalls wäre, dieses als vom Wissen und Wollen natürlicher Personen getragene Verhalten als selbständige Zwischenursache nicht im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität dem Unfallereignis als Sekundärschaden, der sich aus dem Erstschaden entwickelt hat, zugerechnet werden kann (vgl. zum Sekundärschaden BSG, Urteil vom ...).

Der Anerkennung des Mobbings als Folgeunfall (vgl. dazu BSGE 63, 53) steht bereits der Umstand entgegen, dass es sich hierbei um kein punktuelles Ereignis handelt, das einen Gesundheitsschaden hervorzurufen vermag, weshalb eine Entschädigung als weiterer Arbeitsunfall im Sinne eines Folgeunfalls (vgl. Ricke, KassKomm, SGB VII, § 11 Rdnr. 4) nicht möglich ist.

Dies belegen die bereits in der Rechtsprechung geläufigen einschlägigen Definitionen, wie die des Bundesarbeitsgerichts, Mobbing sei das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte (BAG, Urteil vom ...), oder die des Thüringer Landesarbeitsgerichts (Urteil vom ...), Mobbing seien "fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen”.| |Die Besonderheit der als Mobbing bezeichneten tatsächlichen Erscheinungen liegt damit darin, dass nicht einzelne, abgrenzbare Handlungen, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte in einem Prozess zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers führen kann (s. BAGE, Urteil ...).| |Ferner wird Mobbing auch nicht in der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung aufgeführt, weshalb auch nicht die Anerkennung als Berufskrankheit in Betracht kommt. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen einer "Wie-BK" nach § 9 Abs. 2 SGB VII vor, weil insoweit auch keine neuen medizinischen Erkenntnisse vorliegen, nach denen die Voraussetzungen für eine Bezeichnung als Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 1 SGB VII erfüllt sind (siehe zum Vorstehenden ...). ..."|

Somatoforme Störung – Beschreibung nach ICD 11 Entwurfsfassung, abgerufen am 10.10.2024
"Die Körperliche Belastungsstörung ist gekennzeichnet durch das Vorhandensein von körperlichen Symptomen, die für die Person belastend sind und worauf eine übermäßige Aufmerksamkeit gerichtet wird, was sich in wiederholten Kontakten mit Gesundheitsdienstleistern äußern kann. Wenn ein anderer Gesundheitszustand die Symptome verursacht oder zu ihnen beiträgt, ist das Ausmaß der Aufmerksamkeit im Verhältnis zur Art und zur Entwicklung der Symptome eindeutig übermäßig. Die übermäßige Aufmerksamkeit wird weder durch geeignete klinische Untersuchungen und Erhebungen noch durch angemessene Rückversicherung gemildert. Die körperlichen Symptome sind anhaltend und treten an den meisten Tagen mindestens mehrere Monate lang auf. Typischerweise können bei einer Körperlichen Belastungsstörung mehrere körperliche Symptome beteiligt sein, die im Laufe der Zeit variieren können. Gelegentlich gibt es ein einzelnes Symptom - in der Regel Schmerzen oder Müdigkeit -, das mit den anderen Merkmalen der Störung einhergeht. Die Symptome und die damit verbundenen Belastungen und Sorgen wirken sich zumindest in gewissem Maße auf die Funktionsfähigkeit der Person aus (z. B. Belastung in Beziehungen, schlechteres Funktionieren im Ausbildungs- oder beruflichen Bereich, Verzicht auf bestimmte Freizeitaktivitäten)."
Durch das DSM5 © neu eingeführte Diagnose:
Somatische Belastungsstörung - (meiner Meinung nach falsch übersetzt, wörtliche Übersetzung Somatische Symptom-Störung).
(ICD-Code: F45.1) unautorisierte Umschreibung:
Körperliche Symptome, die durch die körperlichen Befunde nicht oder nicht hinreichend erklärt werden können, mit erheblichen Einschränkungen infolge exzessiver Gedanken/Gesundheitssorgen/Ängste wegen der Symptome.

Interessant ist dazu auch die Informationsseite der clevelandclinic

Eine zwar lange, aber interessante Entscheidungen dazu:

Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.09.2022 Aktenzeichen L 15 U 316/17

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